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Der tanzende Christus

Eine unkonfessionelle Betrachtung von Kreuz und Auferstehung  

Vortrag von Peter Erlenwein

Es scheint, dass wir heute in einer Zeit leben, in der sehr viele bekannte Koordinaten verloren gehen -  in der aber auch spannende, neue Wegweiser auftauchen. Das Verlieren des sogenannten roten Fadens, das Verlieren der Sicherheit,- wer ich bin, wo ich bin, was sein wird in kommenden Zeiten, sind die „Aussetzer“, die manchmal zu  sehr vielversprechenden „Einsetzern“mutieren. ! Eine solche wirklich neue Koordinate, an die ich mich immer erinnern werde, zeigte sich mir, als zum ersten Mal auf der Mattscheibe die Bilder flimmerten, die die Erde, den blauen Planeten, aus dem Weltall zeigten. Und zum ersten Mal konnte man mit diesem Abstand, von außen betrachtet, sagen: „Dort sind wir. Das ist unsere Heimat.“ Ein Paradoxon- das Dort als Hier!

Es gibt viele Traditionen, in denen man, z.B. mit Hilfe schamanischer Reisen, etwas  scheinbar Bekanntes ‚von außen’ als eine andere Wirklichkeit erschauen kann. Das Spannende ist, dass im Fall der Weltraumfahrt das Erschauen des Anderen (als so noch nicht Erkanntes Eigenes) sich durch einen technischen, materiellen Prozess realisierte. Wir konnten auf einmal diesen unseren runden Planeten in seiner Fragilität, konnten diese atmende blaue Hülle, diesen Subtilkörper sehen, sprich empfinden. Das ist natürlich eine eigentümliche, fast schizophrene Situation: Ich bin auf diesem Planeten und schaue ihn zugleich von außen an. Diese Schau ist eines der großen Ereignisse, die das 20. Jahrhundert und die Technologisierung mit sich gebracht haben: den doppelten Blick auf unsere ureigene Heimstatt!. Und diese Perspektivität ist verbunden mit dem, was ich die fruchtbare spirituelle „ Krisis“ der Moderne  nennen möchte: das Geheimnis des Bewusstseins- dass wir in dieser Welt leben und doch nicht gänzlich von ihr sind, um einen Ausspruch Jesu zu gebrauchen. Handfeste Metaphysik am Ende der Postmoderne.

Interessanterweise spricht die christliche Anschauung immer wieder von „Schöpfung“ . Ich finde das ein wunderbares Wort. Die deutsche Sprache ist reich an großartigen Begriffen, die im Zuge der Vermischung der Sprachen, die wiederum Teil eines allgemeinen Mischungsprozesses ist, verloren gehen. „Schöpfen“  heißt, immer wieder Neues hervorkommen zu lassen. Das ist kein Macher-Prozess. Auch der Schöpfer ist niemand, der „macht“ , nach dem Motto, da oben sitzt ER und stellt das Uhrwerk an und „tut“  dieses und jenes. Sondern es ist ein Prozess, der aus dem Offenen kommt, in dem die Dinge und Situationen sich in einer Weise entfalten, wie wir es im Voraus nur begrenzt zu wissen vermögen. Im Alltag wird dies spürbar, wann immer wir uns trauen innezuhalten.  Christiane als Leiterin dieser Veranstaltung hatte vorhin den Mut innezuhalten und zu sagen: „Ich weiß eigentlich nicht weiter.“  Ihr musstet das aushalten. Ihr konntet euch nun ärgern oder langweilen. Aber das war ihre Freiheit, die sie sich genommen hat, um einen Blick von außen aufs Innen ihrer selbst zu werfen. Das fand ich erstaunlich. Dies war für mich zudem ein Moment des „In-die-Mitte-des-Kreuzes-Gehens“, des sich ‚nackt’ Zeigens. Ich habe vor Jahren ein Buch geschrieben mit eben diesem Titel und dieser Thematik: „Reise in die Mitte des Kreuzes. Transformation eines Symbols im Spiegel des Körpers“, das solche Vorgänge deutlicher beleuchtet.

Wir, die wir jetzt in dieses neue Jahrhundert und neue Jahrtausend eingegangen sind, befinden uns in einer eigenartigen Phase, in der Religionen, die ständig vom Unsichtbaren reden - von Gott, von Engeln, von allem Möglichen -  scheinbar zerbröseln; aber zur gleichen Zeit bringt uns die Wissenschaft ständig mit dem Unsichtbaren in Kontakt- ob Quantenphysik, Stringtheorie oder Ähnliches aus dem Reich der Physik. Wir sehen diese Erde, auf der wir selber leben, nun auch von außerhalb-ohne esoterische Bewusstseinsübungen. Wir erkennen die sphärische Hülle und erspüren damit vielleicht auch etwas, dass für manche vielleicht gestern Abend im Tanz deutlich geworden ist: was es heißt, dass wir in-Körpern-sind, also sich ausdrückendes, verkörpertes Leben. Früher hat man im Deutschen vom „Leib“  gesprochen. Dieses Wort ist vom Klang her näher an der Dimension des Seelischen. Der „Körper“  ist dichter an der Materie, er hat etwas „Festes“. Wir erkennen, im Tanz ganz besonders, dass die eigene Lebendigkeit umso stärker ist, je transparenter, je durchlässiger Leiblichkeit wird für die unterschiedlichen Resonanzen -  für das, was von innen nach außen kommen will.

Ostern hat mit einer ganz besonderen Resonanz zu tun. Da ist einerseits die Dunkelheit, genauer der Zwiespalt, eine Sphäre des ‚Nicht wirklich (Da)-Seins’, wie es die Jünger in Gethsemane erlebten. Existentielle Bewußtseinstrübung! Hölle nannte man das einst. Zum anderen, wie Viktor Frankl, Überlebender des KZ Auschwitz und Begründer der Logotherapie einmal feststellte: ‚Wir sind Wesen auf der Suche nach dem Sinn. Wir sind mithin alle unglaublich erkenntnishungrig, licht-hungrig, ausgestattet mit dieser Sehnsucht, besser Ahnung, dass ein Leuchten existiert, von dem die Sonne nur ein Abbild ist, christlich gesprochen: ‚Das Licht ist in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht begriffen.’ Vom Zeitlichen her ist das immer Karfreitag- die große kollektive Bewußtseinstrübung von Golgatha wie gleichzeitig schon das Aufglimmen der transzendenten Existenz allen Lebens: Auferstehung hier und Jetzt, jeden Moment.. Wie Jesus von einem seiner Jünger, Nathaniel sagte: ‚Er sah die Himmel offen!’ (nicht nach seinem Tod sondern im jetzigen Leben!).

Das Licht, welches von jenem Ereignis ausging, ist ebenso ein individuelles, wie ein kollektives, ein geschichtliches wie kosmisches. Es dringt immer  noch weiter  durch alle unsere Sinne. Diese feinstofflichen Sinne ermöglichen es, dass wir frei werden von der materiellen Dichte und Festigkeit. Sie sind es, die uns die Möglichkeit eröffnen, transparent zu werden für immaterielle Prozesse. Ein wunderbares Paradox für Atheisten wie Esoteriker.  Die Religion hatte immer - und hat­ -  den siebten Sinn für solchen Widerspruch zwischen ‚hardware’ und ‚software’. Doch im Moment der Bennenung  dieses Rätsels mit den Buchstaben „G­ - O - TT = Gott, werden die Sinne buchstäblich geblendet und der SINN, die Ahnung, ist schnell dahin.   Stattdessen erwuchsen seit Urzeiten ungeheuerliche Streitigkeiten über dieses Wort: Wer wo, wie, wann? Auf einmal war da keine unerschöpfliche Weite mehr,  sondern etwas unglaublich Enges, Kompaktes; und ich kann dieses oder jenes heilige Buch aufschlagen und sagen: „Auf  Seite fünf hat der (liebe?) Gott gesagt.. Und so weiter.  Was ist das Heilige? wurde der Buddha gefragt. ‚Nichts von heilig, nur große Weite, lautete seine  unübertreffliche Antwort’.  Christus antwortete ebenso unbegreiflich: ‚ Siehe mich, und du siehst IHN/SIE/ES.

Eine der großen Erfahrungen, die Religion weiterzugeben vermag , ist die Erkenntnis, dass die tiefste Tiefe des Wissens Schweigen ist. (Ich spreche von Religion als einer Systematisierung von innerem Wissen, und da ist auch der Atheismus ein Durchgangsstadium einer Form von Wissen, die mit Nicht-Wissen gekoppelt ist.) Der Moment der Stille ist zugleich der dichteste, der weiteste und der unfassbarste Augenblick in allen Dingen und Situationen.. Das bleibt immer. Er schenkt den Geschmack eines allumfassenden Schweigens, einer Leere oder schöpferischen Offenheit, aus der alles hervorquillt: Sterne,  Galaxien- Kräfte, besser Leben in jeder Gestalt; Formen, die in der Horizontalen und der Vertikalen des Kreuzes sozusagen ihre Koordinaten, ihre allgemeinste Ordnung finden. Das Kreuz ist in dieser Hinsicht Ursymbol eines immerwährenden Schöpfungsvorganges- eines Oben, eines Unten, eines Rechts und eines Links- einer sich immer neu entfaltenden Orientierung- mit der Mitte als dem Herzraum, dem stetig wechselnden, besser sich spontan ergebenden Ort der Transformation.  

Ich traf kürzlich einen Schamanen, einen Inuit, der ein Seminar gab mit dem Titel Melting the ice in the heart of man. Das Schmelzen des Eises  -  nicht in der Arktis, sondern im Herz des Menschen, das teilweise sehr arktisch ist, sehr vereist. Er sagte: „Das erkenne ich als die innere Aufgabe angesichts eines äußeren Prozesses, den wir in Grönland erleben: dass etwas schmilzt, sich erweicht.“ Er hat dieses Schmelzen nicht als Katastrophe beschrieben sondern als Chance, indem er es in eine andere Ebene versetzte, eine andere Ebene der Wahrnehmung. In den meisten Kulturen und Mythologien ist das Licht in- und außerhalb unserer selbst das, worum es geht. Wenn wir sagen und wissen, dass das Licht die erste Nahrung und die erste Kraft ist  -  die Kraft, aus der wir kommen und in der wir stehen - dann ist die andere Seite dieses Lichtes die Wärme, die Hitze; und als Gegensatz: die Kälte, die Vereisung. Eine Form der Vereisung, die wir lange erlebt haben, ist die Vereisung in einem rationalistischen, technizistischen und einem rein geschichtlichen Denken. Wir können diese „Verdichtung“  von Materie und von Ereignissen stündlich, minütlich auf dem Fernsehbildschirm sehen: Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten. Was bringen sie rüber? Sie füttern die unterschwellige Gier nach dem Katastrophischen,  nach einem Zustand des Zerrissen-Seins als permanentem Erregungsstimulus. Gestern  der 11. September, heute Irak und Afghanistan: Untergang der Titanic, auf der wir sitzen, Klimawandel, der nächste Terroranschlag in Pakistan; mit anderen Worten: Ice Age..

Es ist erstaunlich, in welcher unendlichen Fülle das Kreuz mithin präsent ist. Gerade für eine westliche Welt, die mit diesem Zeichen kaum noch etwas anfangen kann; wo das Gefühl vorherrscht, dass Christentum, dass Religio generell passe´ sei! Dabei agiert unsere virtuelle Welt mehr denn je in diesem Planquadrat wie in einem Labyrinth apokalyptischer Szenarien. Überall hängt er- auf allen Kanälen ausgestellt: der blutige Leib, wie ein einziges unauslöschbares obszönes Gleichnis! Wir sehen es jeden Abend in der Tagesschau. Der junge Mann, der gerade mal wieder 16, 17 Menschen umgebracht hat, macht das als foreplay im Achsenkreuz des Videospiels auf dem Bildschirm.  

Wir hängen im/am Kreuz. In einem Maß, das ungeheuerlich ist und das alles umgekehrt hat, was früher dieses Kreuz bedeutete -  ganzheitlich zu sein, also zu spüren: Ich bin rechts, ich bin links, ich bin oben, ich bin unten, ich bin vorne, ich bin hinten... ich bin in allen Dimensionen da- ein universal angelegtes Wesen! Wenn man zusätzlich dieses Kreuz zu drehen beginnt, die Horizontale sich also der Vertikale biegsam annähert – man denke an die Drehtänze der Sufis  - zeigt sich die Acht, das Zeichen der Unendlichkeit. Nun faltet sich das Innen ununterbrochen organisch ins Außen und umgekehrt. Mathematisch nennt man so etwas eine Möbiusschleife. Das aus zwei Geraden bestehende Kreuz ist nun in eine einzige, sich selbst kreuzende Linie verwandelt- ohne Anfang noch Ende:  die sogenannte Möbiusschleife.  Nichts ist faszinierender als die Wandlung des starren Kreuzzeichen in diese urlebendige schlangengleiche, pulsierende Form eines ununterbrochenen Innen-Außen Konttinuums. Erlösung aus der Fixierung der geraden Linie, der Unbeugsamkeit, der Härte des Ich- Willens. Wenn wir vom Kreuz oder vom Leiden sprechen, haben wir es mit etwas zu tun, das im Hymnus Christi, einem der vielen Evangelien, die nicht ins Neue Testament aufgenommen wurden: so heißt: „Verwundet werden will ich; und verwunden will ich!“  Beides ist da. Wir wollen auch beides: Tun und Erleiden! Es ist ein Erbteil unserer kosmischen Geschichte,  unserer materiellen Geburt aus dem Feuer  der  galaktischen Explosionen. Dem steht, durch die Tatsache der Evolution von Bewusstsein, im Christlichen dieser eine, in das eruptive Feuer der Elemente (d.h. auch die Leidenschaften unserer Seele)  gesprochene Satz gegenüber , der alles umfängt und durchdringt. ‚Ich Bin das Licht der Welt.’   

Ich war immer erstaunt, wie sehr man diese Grundfigur einer höchsten spirituellen Passion, diesen Christus, verharmlosen konnte. Wenn die Leute damals Angst vor ihm hatten, dann vor diesem Feuer, das er brachte. Es war ein schockierendes Feuer, das nicht äußerlich verbrannte, sondern eine ganz andere Flamme einer Liebe (Agape) mit sich brachte, die wir offenkundig unendlich viel mehr fürchten als jedes Erdbeben, jeden Krieg. Deswegen entfachen wir all die äußeren Feuer, die die zahllosen Kreuzigungen von Mensch und Mitwelt nach sich ziehen. Wir haben schlichtweg Angst vor der Liebe. Noch jede Therapie kommt auf diesen Ur-Grund zurück.

Wenn aber das Kreuz, lange schon vor dem Christentum, Eines war, dann Zeichen des Heils, Symbol der großen Verbindung in allen Dimensionen, in allen Ebenen menschlicher und kosmischer Existenz. Das Abbild für die dynamische Einheit von oben und unten, links und rechts, Himmel und Erde, den Schwingungen des Kosmos und unseres Planeten. Insofern wird deutlich, dass wir mehr denn je „im Kreuz stehen“ inmitten der ökologischen Krise, in der wir uns befinden, und die im Wesentlichen eine geistliche Krise ist. In den Zeitungen können wir jeden Tag lesen, mit welch eindimensionalen Methoden wir diese Krise in den Griff zu bekommen suchen.- ob wir den Müll trennen, ob wir versuchen, nun endlich abgasärmere Autos zu entwickeln, da es nicht mehr anders geht, ob wir CO2-Raten festlegen. Wir wissen alle, dass wir uns mit solchen Aktionen irgendwie an der Peripherie der wirklichen Problematik bewegen.

Der CO2-Ausstoß ist der Ausstoß unserer geistigen Staus Quo Denkens in diesen zentralen Fragen. Und es erscheint außerordentlich schwierig, in einer geschichtsbesessenen, fortschrittsgierigen Gesellschaft wie der unsrigen -  die so stark einem rein kausalen Denken verhaftet ist, in einer Gesellschaft, die andererseits in vieler Hinsicht sehr klug und weit entwickelt ist, einen Schritt zu tun, der auch den Religionen als Institutionen selten gelang: den der Umkehr in einen Raum größerer Einfachheit, damit Leichtigkeit und vielleicht Anmut. Einen Raum, der aus einer neuen, schöpferischen Dynamik zwischen Sein und Haben hervorgeht, und damit die uralte Dichotomie von Reichtum/Armut zu erweichen fähig wäre- wie von selbst, will  sagen eher spielerisch als über zuviel Regelwerk.   Für diesen Raum steht auch eine Gestalt wie Christus. „Christus“  ist ja ein Titel, der aus dem Judentum kommt: der Messias, der Gesalbte, das heißt der Gesegnete!

Eigenartigerweise neigen wir in wirklich wichtigen Fragen zur Verharmlosung. Wir verharmlosen ständig. Wir verharmlosen das Schreckliche, indem wir es uns ständig vor Augen führen bis zum Erbrechen, bis wir abwinken, verdrängen. Oder wir verharmlosen das Schöne, bis es süßlich wird oder kalt. Jesus sagt daher in den Evangelien: ‚Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Feuer’. Ein seltsamer Satz. Die Leute haben ihn nach seinen ersten Predigten dafür ermorden wollen. Warum? Weil er ihnen nicht brachte, was wir alle wünschen: ein sogenannt normales Leben zu haben, in dem alles in Ordnung ist. Einfach so! Stattdessen ist es ist voller Komplikationen. Am Morgen Stress mit den Kindern ,den Liebhabern, mit mangelnden Finanzen. Jeden Tag! Immer wieder! Der Stein des Anstoßes ist schon um die Ecke. Ihr dreht Euch um und irgendwas ärgert Euch. Es ist da. Ich komme daher nicht darum herum, das zu tun, was die eigentliche Aufgabe eines Tänzers ist. Was ist die Aufgabe des Tänzers?: aus der Erfahrung heraus zu tanzen, dass er sich ständig am Rande der Balance bewegt, um Neues zu entdecken! Im Leben geschieht das zumeist unabsichtlich, aber oft auch, meistens uneingestanden, gewollt; vielleicht, um ein bisschen mit dem Feuer zu spielen, wenn das Dasein gerade langweilig zu werden droht! Ich werde daher kein guter Tänzer , wenn ich mich mit einigen ‚sicheren’ Bewegungen und Gebärden begnüge.. Ich bin gehalten, je und je die Dimensionen zu  wechseln. Ich muss/will aus meiner Rolle heraus.  In der Kunst wie im ‚richtigen’ Leben. Jeder weiß auch:  Nichts schwieriger als das! Die Rolle erscheint immer noch als das Sicherste. Gerade in der Liebe, und gerade da ist es oftmals besonders fatal.  

Wenn in der Tiefe der Religionen eines immer klar war, dann war es die Einsicht, dass der Prozess der spirituellen Evolution nichts weniger ist als eine Bewegung in einen immer tieferen, immer weiteren Raum von Erwachen. Das heißt, dass wir in diesem Moment wach sind. Aber wo beginnt das Hier und Jetzt? Und wo hört es auf? Es ist unsere gesamte Geschichte, die zählt. Ich kenne so viele eindimensionale Hier-und-Jetztler. Nichts ist hinten, nichts ist vorne, nichts an den Seiten. Große Langeweile. Wo hat so ein Mensch sein Gedächtnis? Wo hat er seine Erinnerungen? „Brauch` ich nicht, bin ja ganz hier und jetzt.“  Glatte Flächen- rundum. Als seien Erinnerung und Vision nicht da, Vergangenheit und Zukunft. Was sind die religiösen Traditionen anderes als ständige Reflexionen von Erfahrungen, die gemacht worden sind? Und entweder erstarren sie dogmatisch oder sie vertiefen sich zu einer wirklichen Transparenz. Aber diese ist keine eindimensionale Präsenz von Hier und Jetzt. Es ist eine unglaubliche Geöffnetheit wie in diesem Kreuz, in der Vielzahl der Perspektiven, die möglich sind. Wie in diesen Momenten, wo sich die Frage stellt: Kann ich jetzt noch die Balance halten  -  oder wie finde ich sie wieder? Das ist für mich ein Ausdruck des Tänzers im Kreuz. Und darin ist das Heil. Das Heil ist also nichts Festes, es ist ein Auf und Ab. Es ist ein Fallen und sich darin neu finden! Es ist also gewissermaßen eine Dauerkrise, im Sinne eines wunderbaren Büchleins des amerikanischen Schriftstellers Henry Miller: ‚Das Lächeln am Fuße der Leiter.’

 

Wenn wir heute von ökologischen Krisen reden, dann reden wir von dieser Schöpfungs-Krise, dann reden wir von der Erschöpfung in einer Wirklichkeit, die wir bis zum Erbrechen satt haben: dieser Kreuz-Wirklichkeit, in der Christus am Kreuz hängt und es ist keine Bewegung da. Das Angenagelte, auf das wir uns eingeschossen haben. Wo nur Ende ist. Wo Tod ist. Aber: Im Christentum wird von Auferstehung gesprochen. Ich kenne keine andere Religion, in der Auferstehung bedeutet, in der Gesamtheit meines Seins, also auch meines leiblichen Seins, aufzuerstehen. Das hat mich immer wieder fasziniert. Ich kenne das nicht im Buddhismus. Diesen unmittelbaren Bezug auf  die Auferstehung der gesamten Existenz gibt es nur im Christentum.

Es stellt sich natürlich die Frage: „ Ja was denn? Wird mein verrottender Körper dann durch irgendwelche geheimen Künste wieder zusammengeschnürt?“  Aber es ist keine Frage der Logik. Die Logik hört an dieser Stelle auf. Doch es ist auch keine Frage einer Nicht-Logik im Sinne eines mythischen Kränzchen-Strickens, um das alles wieder zusammenzukriegen. Es ist etwas Anderes. Hier beginnt der Weg für jeden, der mit Christentum -  und ich meine nicht „Kirche“ - noch etwas zu tun haben will: sich diesem Mysterium zu nähern. Ihr wisst alle, wenn ihr jemanden liebt, möchtet Ihr, dass das, dass dieser Moment so bleibt, auf immer. Dass er da ist. Dass er nicht vergeht. Und dieser Moment ist ein durchaus leiblicher Moment. Ihr zelebriert den Eros. Die sexuelle Begegnung kann wunderbar sein. Sie kann eine Katastrophe sein. Sie kann uns öffnen für hohe spirituelle Erfahrungen. Der Yoga in Indien, die Mystik bauen immer wieder auf den Tatsachen sexueller, zutiefst körperlicher Erfahrungen auf, die eine Energetik, einen Raum freisetzen, der woanders ist als nur im Körper. Und die Frage ist: Wie geht das zusammen und was bedeutet Auferstehung in dieser Hinsicht?

In einem der Evangelien wird gesagt: Die Jünger gehen, am Ostermorgen. Ihnen begegnet Christus und  - sie erkennen ihn nicht. Aber er geht in Fleisch und Blut. Dann macht er eine Geste und sagt einen Satz. Plötzlich ist die Erinnerung da ,ist alles da.. Gedächtnis, also Bewusstsein ist nicht an den Körper gebunden, manifestiert sich aber immer wieder durch ihn. Will mir einer sagen, dass etwas, das ich zutiefst geliebt habe, je vergangen sein kann?  Und wenn ich es geliebt habe im Körper, der vergeht, der stirbt - dass diese Leiblichkeit nicht gesegnet sei? Obwohl wir wissen, wie schrecklich sie sein kann, wie entstellt, wie dement. Wir kennen die Minusseiten. Wir müssen nur einmal durch ein Krankenhaus gehen. Und doch ist Leiblichkeit da und ist Schönheit da in einer einfachen Gebärde eines Grußes, einer Zärtlichkeit, eines Blicks, einer Danksagung. Im Vordergrund jedes Gestus schimmert ein weiterer Hintergrund auf,  der dieser Leiblichkeit Bedeutung schenkt: ein Glanz von innen.  

Das Christentum war zu Beginn eine sehr kleine Sekte. Viel kleiner als die Osho-Bewegung beispielsweise. Innerhalb von hundert Jahren breitete sie sich aus dem entferntesten Winkel des Imperiums explosionsartig aus bis in die Mitte der Kapitale Rom. Warum? Weil offenkundig eine Wahrnehmung geschehen war  -  nicht über das Internet, nicht über Fotografien oder Zeitschriften -, dass  das Nicht-Vorstellbare  wirklich  sein/werden  kann. Nun kann ich einwenden: „Das haben die sich alle ausgedacht bzw. eingebildet: Auferstehung.“ Aber so etwas denkt man sich nicht aus. Es gibt morphogenetische geistige Felder, in denen eine Bewusstseinsebene in der Geschichte erscheint, die etwas Wesentliches weitergibt; eine universale spirituelle Information. Meine Erfahrung, meine Empfindung ist: Dieses „christliche“ Informationsfeld ist nicht erschöpft. Diese Wahrnehmung einer Auferstehung ist prinzipiell un-erschöpflich. Sie ist auch nicht an die Kirche gebunden. Sie ist nur daran gebunden, dass ich bereit bin, der Spur einer Erfahrung, die ich im eigenen Leben gemacht habe,  nachzugehen. Unabhängig davon, was der Andere sagt, unabhängig davon, was „ meine“  Kirche sagt, unabhängig davon, was der zynische Alltagsverstand sagt. Dass ich in die Erfahrung vertraue und in einen Raum gehe, der namenlos ist. „Christus“ ist keine Name.  Christus ist ein Titel: Der Gesegnete. Das ist die Botschaft - gesegnet zu sein. Gesegnet aber mit dem Ganzen. Mit allem. Und das ist mehr, als wir  zumeist wünschen. Wir wünschen, mit bestimmten Dingen gesegnet zu sein, mit anderen nicht. Doch wir sind mit dem Ganzen gesegnet. Ein kluger Jesuit hat einmal zu mir gesagt: „Eigentlich ist die Liebesbotschaft dieses Mannes eine ständige Überforderung. Wir können sie nie erfüllen. Und trotzdem geht alle Sehnsucht in diese Richtung“. Und immer, wenn wir in diese Sehnsucht ganz eintauchen, ist sie erfüllt, wie unvollständig und unvollkommen sie , von außen gesehen, auch erscheinen mag. Das heißt: Auferstehung und Schöpfung haben nichts mit Perfektion zu tun. Das hat mich am Christentum immer beeindruckt: Dass das Unvollkommene, das Kleine  - „ die Letzten werden die Ersten sein!“ -  einen enormen Rang hat. Sehr viel mehr als in manchen anderen Religionen.

Es gibt, von Ausnahmen abgesehen, kein explizit spirituelles Training im Christentum. Es gibt das Gebet. Aber es gibt keine detaillierten Anleitungen wie etwa im Buddhismus, auch keine ausgefeilte Psychologie. Ich hatte das immer als ein Manko empfunden. Doch ich erkenne heute mehr und mehr, dass eine große Freiheit darin liegt. Mir sagen Leute: „Ich bin schon sehr weit auf dem spirituellen Weg!“ Doch wie der Zen feststellt: „Du bist immer am Anfang.’ Es gibt aus unserem Leistungsdenken heraus diese Idee „jetzt muss ich es aber schaffen!“ Das ist eine seltsame Paradoxie. Die Auferstehung hat nichts mit „schaffen“ zu tun. Sie ist ein Moment der Gnade, den Ihr auch kennt: Ihr seid irgendwo - und plötzlich ist alles da. Diese ‚Gnade/Wirklichkeit’ kann sehr unauffällig daherkommen. Im nächsten Moment ist sie vielleicht schon wieder weg. Und dann bin ich – anscheinend wieder nur ein gewöhnlicher Mensch. Und doch nicht mehr!

Es gibt ein spirituelles Heroentum, das extrem anstrengend ist. Auch die Kirchen haben das über ihre Märtyrergeschichten gefördert. In jeder Religion kennt man solches. Meine Erfahrung sagt mir: Der Tanz ist die wunderbarste Weise, von diesem Heroentum abzulassen. Weil der Tanz in mancher Weise so viel mit dem Narrentum zu tun hat. Ich kann endlich alle Gesichter zeigen im Tanz! Und wir alle haben unglaublich viele Gesichter. Und es ist eine Erlösung, all jene auszudrücken, die wir uns im Alltag nicht zu zeigen trauen. Dazu muss ich noch nicht einmal in Trance fallen. Dazu reichen ganz kleine Formen.

Ich hatte in Indien ein- zweimal diese Erfahrung: Ein Niemand zu sein. Ich hatte keine Rolle. Meine Frau machte den Job, sie war wichtig, ich war unwichtig. Der Doktortitel zählte gar nichts. Ich konnte die indischen Sprachen nicht, in das Pidgin-Englisch musste ich mich erst hineinfinden. Ich stand ziemlich am Rande und hatte auch die Tendenz, immer wieder an der Rand der großen Städte zu gehen, mit dem ganzen Müll dort... und für den Moment war das eine ungeheure Entlastung: „anybody zu sein“. Nicht einmal „nobody“ , sondern „anybody“. Wenn ich zurückkam, merkte ich, wie sich „die Kleider wieder anlegten“. Ich sage nicht, dass wir die Kleider nicht anlegen sollen. Wir brauchen sie für manche Situationen. Aber wir sollten wissen, dass die Rollen Rollen sind. Im Tanz kann ich die verschiedenen Rollen und Masken durchspielen und sie auf diese Weise auch erfüllen. Dazu passt das Bild des Christus als Tänzer, der durch seine unglaublichen Drehungen das Universum zusammenbringt.

Die Möglichkeit, dass an diesem Ort, wie ihr ihn gestaltet, Auferstehung geschieht, ist immer gegeben. Mit allen Potenzen, den dunklen wie den hellen. Als ein Moment der Wirklichkeit, der großen Wirklichkeit. Die Frage ist, wie viel „ altes Kreuz“  wir uns wirklich antun wollen, bzw. wie viel davon wir uns loszulassen trauen, um lebendiger, glücklicher sein zu dürfen.  Gemeinschaft, gerade heute, scheint mir  dafür eine große Chance, solange sie die Türen offen hält für den spirit, den Heiligen Geist, der überall weht.

Ich danke Euch, dass ich hier sein durfte. Ich wünsche euch ein frohes Ostern. Und eine große Auferstehung.

 
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