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Reflexion über die Rolle der Religionen in der Postmoderne

Vortrag von Peter Erlenwein 

Der Mitgliederschwund der beiden großen Kirchen in Deutschland, aber auch in Europa, schreitet  stetig voran, trotz thematisch bedingter Neueintritte (Deutscher Papst etc.). Dieser kontinuierliche Aderlaß an Gläubigen war für eine vollständig säkularisierte Konsumgesellschaft bis zum Moment des 11. Septemeber 01 fast belanglos geworden- ein bis dahin scheinbar notwendiger, nun endlich zur Gänze vollzogener historischer Vorgang, der im Zeitalter von Internet und Globalisierung  einem unspektakulären Ende zuzugehen schien.
In diesem Zusammenhang muß eine wichtige soziopsychologische Unterscheidung zwischen Religion als öffentlich organisiertem, institutionellem Rahmen von Tradition, Dogma und Ritual einerseits und religio als einer individualen, bewussten, spirituellen Wegführung andererseits gemacht werden. In Zeiten hoher Individualisierung kommt letzterem Faktor eine immer größere Bedeutung zu. Dies erscheint umso wichtiger, als die Wahl einer Religion zunehmend (speziell im Westen, aber nicht nur dort)  in die Entscheidung des Einzelnen gestellt ist. Religio kann durchaus im Rahmen von Religion stattfinden, soweit sie, gemäß der eigenen spirituellen Entwicklung, bereit ist, vorgegebene Schranken und Tabus  kontinuierlich zu transzendieren- im westlich, tiefenpsychologischen Verständnis (C.G. Jung) von Individuation, d.h. der Ausreifung einer transpersonalen Selbst-Erkenntnis.
Zum vieldeutigen Begriff der Spiritualität sei hier nur angemerkt, dass der Autor diesen allgemein als das jedem Menschen zugängliche Erfahrungsfeld einer trans-personalen  (überpersönlichen) Wirklichkeit betrachtet, die nicht vom Ich abhängt und doch nicht davon getrennt ist. Spiritualität besagt, dass der Mensch nicht allein aus Materie und Energie besteht, sondern, wie alle Religionen betonen, geistgegeben ist. Sie entfaltet sich in dem Maße, wie der Einzelne bereit ist, religiös gesprochen, einen Weg des Erwachens, also der geistlichen Bewußtwerdung  zu gehen, gleich ob als Atheist oder traditionell Gläubiger.

Religionen verschwinden nicht einfach; sie verwandeln sich. Ihre Kleider, sprich ihre Riten und Zeremonien sind vergänglich, ihre äußere Sprache unterliegt dem Zeitgeist. Ihr Kern jedoch ist, wie Mircea Eliade, der große Religionshistoriker, feststellt, unzerstörbar- er ist ebenso transrational wie transhistorisch.
Die wesentlichen Möglichkeiten zur Vermittlung  religiös-spiritueller Wirklichkeit sind, außer der direkten Erfahrung, Ritual und Sprache. Alle drei sind im abendländischen  Christentum schon seit längerem im Versiegen begriffen. Das muß man nüchtern feststellen.
Der Weg zu einer neuen spirituellen Universalität, dessen materielle Schrittmacher eben Technik und Ökonomie sind, wird unweigerlich zu dem Eingeständnis führen, dass heutzutage Individuum  und kulturell-religiöses Umfeld nicht notwendigerweise mehr zur Deckung kommen. Viele westliche Suchende haben erkannt, bzw. sind durch praktische Erfahrungen zu dem Schluß gekommen, dass z.B. der Buddhismus oder andere Religionen ihnen adäquatere Antworten  oder Lösungen auf ihre Fragen zu bieten haben als ein europäisches Christentum.

Entschieden ist bei diesem Prozess dem altbekannten theologischen, selbstabsichernden Vorwurf des Eklektizismus entgegenzutreten. Am Beispiel der USA läßt sich deutlich aufzeigen, wie der z.B. Buddhismus, ob in seiner Variante als Zen oder als tibetischer als eine genuine Religion unter modernen westlichen Bedingungen auftauchte und sich in kurzer Zeit auf amerikanischem Boden heimisch gemacht hat- mit entsprechenden Adaptionen. Eine ebenso spannende Parallele bietet das Aufeinandertreffen afro-brasilianischer Religionsformen mit einem europäischen Katholizismus in Südamerika. Die Vorstellung einer ‘reinen’ Religion  wird durch ein tieferes Studium der Geschichte widerlegt. Jede Tradition, die ihr Mutterland verläßt, hat sich automatisch mit ihr selbst fremden Überlieferungen auseinanderzusetzen und diese sinnvoll zu amalgamieren. Beides geschieht durch die Individuen und Institutionen der verschiedenen Gruppierungen, die dabei aufeinandertreffen.

Die Erfahrung und fruchtbare Verarbeitung von Gegensätzen religiöser Anschauungsweisen stellt eine höhere spirituelle Synthese in der jeweiligen Person dar. In postmodernen Zeiten massivster Verdrängung religiöser Wirklichkeit und entsprechend fundamentalistischer Reaktionen bilden solche Integrationen ‘ad personam’ den Humus für eine universale religio. Die Begegnung der Religionssysteme untereinander wie im Fluidum eines westlichen Atheismus und Konsumismus ist gerade dahingehend von so großer Bedeutung, als es nicht mehr bloß um den Austausch von Informationen über geistliche Weltbilder gehen kann sondern, viel existentieller, um eine Art integraler Religiosität, welche sich durch eine offene Inklusivität, also ein Differenzvermögen innerhalb eines holistischen, interreligiösen Kontextes auszeichnet. Denn nicht ‚Gott’ oder die Religion ist tot; vielmehr ist ein bestimmtes, zumeist sehr personalistisch gefaßtes Gottesbild einem heutigen westlichen Bewusstseinsstand oftmals nur noch schwer zugänglich.
 
Die notwendig gewordenen  interreligiösen Grenzüberschreitungen vieler Menschen haben vielleicht mehr  als alle gelehrten Abhandlungen dazu beigetragen, Begrenzungen wie Chancen der eigenen religiösen Tradition zu erkennen und neu zu definieren; anders gesagt, Relativität wie Authentizität der eigenen Ursprünge klarer einzuschätzen. Der Angst der Puristen, es handle sich hier bloß um synkretistisches Stückwerk, ist entgegenzuhalten, dass in einer zusammenwachsenden Welt die Einsicht  hinsichtlich der Engstellen  heimischer spiritueller Perspektiven entscheidend von gelungenen Adaptionen einer anderen Tradition und ihrer religiösen’ Sprache ‘abhängen. Erst eine globale Menschheit ist in der Lage, offene geistige Systeme zu entwickeln, die die Erfahrungen des jeweils fremden Traditionsgutes als notwendige Ergänzung zu begreifen vermögen! Nicht einmal so sehr deswegen, weil jene nicht auch im eigenen Bereich zu finden wären - also im Monotheismus die Spuren von Shunyata., dem berühmten Begriff der Leere im Buddhismus- und zwar in der Frage der ‘Absentia Dei’ oder des ‘Deus Absconditus’ ( des abwesenden Gottes).  Doch es zeigt sich schnell, dass hier die ureigenen Vorstellungen schnell ins Leere laufen. Sie greifen nicht, da sie zu stark überdeckt sind von einem konkretistisch personalistischen Denken. Mithin kann die normalerweise für einen Gläubigen bedrohliche Situation  der Erfahrung  von Gottes Abwesenheit mit entsprechend erschreckenden/traumatischen Empfindungen gerade in der Bemühung um eine fremde Terminologie  Erhellungen bieten, die eine schöpferische Neuwahrnehmung der eigenen  religiösen Tradition ermöglichen. Das bedeutet einen  großen Sprung  durch primäre Schattenreiche heimatlicher Religiosität.

Die bequeme Formel ‚West zu West und Ost zu Ost’, wie sie noch C. G. Jung für sich in Anspruch nahm, reicht daher nicht mehr aus angesichts der atemberaubenden Verwandlungen auf diesem Planeten. Man schaue auf Indien:
Das Christentum auf dem indischen Subkontinent nimmt, prozentual gesehen, die Position einer verschwindenden Minderheit ein. Zirka 3% der Bevölkerung rechnen sich dem christlichen Glauben zu. Angesichts mehr  als einer Milliarde Menschen, die in diesem Lande leben, scheint das eine marginale Quote; wenn man die Statistik weiter bemüht, im Hinblick auf die Zahlen anderer Religionsmitglieder, beispielsweise der Buddhisten (cirka. 0,8%) oder der Muslims (11%), relativiert sich jedoch der Eindruck sogleich. Sprechen wir vom Christentum in Indien, darf eine entscheidende Tatsache nicht außer Acht gelassen werden: nämlich die zwiefache Situation, als Inder in einer durchweg  hinduistisch geprägten Kultur zu leben und gleichzeitig Christ zu sein; mit anderen Worten: die einheimischen religiösen Überlieferungen, Liturgien und Feste sind den getauften indischen Gläubigen nicht nur bekannt, sondern spielen für ihn im gemischtkulturellen Alltag Indiens eine zentrale Rolle.
 So lebt der indische Christ in mindestens zwei Traditionen, von denen die erstere den allgemeineren Hintergrund, die andere den spezifischen Vordergrund abgibt. In beiden ist er vor allem physisch wie emotional daheim, am wenigsten intellektuell. Der unbewußte Tiefengrund der hinduistischen Überlieferungen darf also beim indischen Christen niemals unterschätzt werden. Auf dem indischen Subkontinent, wo Altertum und Moderne hart aufeinanderprallen, ohne dass das materielle wie spirituelle Fluidum des ‘alten’ Indien in diesem Kampf bislang ausgelöscht wäre, werden religiöse Geschichten mit ganz anderen Ohren und Augen aufgenommen- ist doch der Alltag in vielen Teilen des Landes so archaisch wie etwa zu Zeiten Jesu. Die Parallelen gehen bis ins Grob-Materielle: Dächer abdecken, Steinigen, echte und falsche Asketen und Gurus, die Armen, die Pharisäer (also Brahmanen) mit ihren zahllosen Vorrechten, die Unberührbaren, die Verrückten, die gänzlich vom Mann abhängigen Frauen, das Elend der Witwen, Spontanheilungen, allerhöchste, gottgleiche Inkarnationen- nichts von all dem ist dem heutigen indischen Geist fremd.
Er lebt damit wie eh und je- ob als Christ, Hindu, Moslem oder Buddhist. Entsprechend wenig Probleme macht auch die Einbindung ‘fremder’ liturgischer Elemente in den eigenen, sprich christlichen Gottesdienst. Synkretismus ist keine Unanständigkeit, vielmehr gelebter Alltag. So weiht eine christliche Haushälterin  mit ihren Bekannten selbstverständlich das  Motorad ihrer westlichen Arbeitgeber mit einem kleinen hinduistischen Ritual; im christlichen Zeremoniell ist da eben eine Lücke, die auf diese Weise, per Anleihe beim religiösen Nachbargut, geschlossen wird.

Es zeigt sich, dass die Wege der Religionen zum ‚Ziel’ hin (Gotteserkenntnis/Gottesschau/Vereinigung/Erlösung) konvergieren. Der Buddhist spricht von Compassion (Mitgefühl), der Hindu von Bhakti (Hingabe) und der Christ von Barmherzigkeit. Alle  drei Begriffe verweisen auf Grundformen der Liebe, die im jeweiligen ‘System des religiösen Pfades’ aber eine bestimmte Logik der Entfaltung beinhalten, die die eine von der  anderen Tradition notwendig unterscheiden- bezüglich ihrer Abfolge in Zeit und Raum wie ihrer Qualifizierung in diesen und höheren Dimensionen. Eben das macht die Unverwechselbarkeit der Religionen und ihrer jeweils immanenten Logik aus. Hier ist nichts beliebig. Konkret gesprochen: jede Religion spiegelt einen geistigen Durchlaufprozeß, dessen einzelne Stufen erübt und kontempliert sein wollen, um an der Erkenntnis der entsprechenden geistlichen Wahrheit teilhaben zu können.
Heute jedoch vervollständigt bzw. vertieft sich die Kontinuität kollektiver religiöser Tradition gerade in den unvorhersehbaren Entscheidungen und Taten eines modernen Ich-Selbst, das um die Kostbarkeit wie Hybris individueller Identität weiß und die Einmaligkeit solcher Identität auf keinem der zahlreichen Altäre falscher Frömmigkeit und religiöser Ideologien zu opfern bereit ist, und doch fähig wird, sie in den Raum einer integralen Spiritualität hin zu öffnen.


Die Frage nach der Einheit der Wirklichkeit von Welt und Erleuchtung, östlich gesprochen, Samsara und Nirvana, ist in den letzten hundert Jahren in Europa ein solch durchgängiges Thema gewesen, von der Physik bis zur Theologie und der Tiefenpsychologie, daß sich eine tiefe Humusschicht für spirituelle Wahrnehmung auch im atheistischen Menschen gebildet hat, die nur darauf wartet in ihrer Fruchtbarkeit erkannt und genutzt zu werden. Da fast alle „sicheren“ Begriffe und Vorstellungen über Welt, Religion, Fortschritt, etc. obsolet geworden sind, eröffnen sich für viele Menschen interessanterweise neue Perspektiven spiritueller Orientierung, die nicht mehr den Spuren gängiger Religiosität folgen. (New Age u.a.)
Auch der  postmoderne Atheist ist oben zitierten genannten Erfahrungen ebenso ausgesetzt gewesen wie jeder andere; sein Bewußtsein ist um die alle Dimensionen sprengende Erfahrung der westlichen Neuzeit (Faschismus, Kommunismus) angereichert. Dies kann sein Weltbild ebenso wenig unberührt gelassen haben wie die Begegnung mit außereuropäischen Kulturen und Religionen.  Wo dies geschehen ist, etwa in den christlichen Solidargemeinschaften  mit den Armen Südamerikas oder der Emanzipation der Frau, ist der außereuropäischen Welt ein Geschenk vermittelt worden, das sicher gewöhnungsbedürftig ist: radikale geistige Emanzipation von allen Strukturen und Systemen, die das Selbst zugunsten neuer positivistischer oder fundamentalistischer Maximen aufzuladen gedenken.
In der Herausforderung dieses ebenso kritischen wie universalen Rufes nach einer wachen, emanzipativen integralen Spiritualität liegt, so scheint es, die große Möglichkeit einer schöpferischen Erneuerung des religiösen Bewusstseins in West wie Ost, Nord wie Süd - eines geistlichen Liedes über die Grenzen der eigenen Tradition hinaus,  das an alle ergeht, die es hören wollen.

Auf die Frage der Postmoderne: ‚Was kommt nach der Religion?’ muß die   
die Antwort lauten: Religion. (vgl. C. Amery, Die Botschaft des Jahrtausends) Aber nun nicht mehr als organisierte Veranstaltung, als Glaubensinstitution sondern eher im Sinne des Individuationsbegriffs von C.G. Jung- als eine bewusste spirituelle Evolution  diesseits und jenseits der Konfessionen. Diese Möglichkeit war in der Menschheitsgeschichte schon immer gegeben; doch angesichts der heutigen Krise der Religionen wie der wachsenden Entscheidungsfreiheit des Einzelnen eröffnen sich ganz neue Perspektiven einer authentischen Spiritualität. Je mehr klassische Tradition wegfällt, desto bewusster muß sich der Einzelne für eine solche evolutive religio entscheiden.

Man denke dabei an die Hinweise des amerikanischen Bewußtseinsforschers Ken Wilber zum Brückenschlag von Religion und Wissenschaft; da heißt es:

-    alle Religionen sprechen vom GEIST wiewohl nicht unbedingt in personalen/männlichen Ausdrücken; auch im Christlichen zeigt sich ja der Heilige Geist sowohl eher weiblich, (sophia), als auch a-personal- als Wind, Strahlung, Fluidum..
-    alle Religionen kennen die Entfremdung der Menschen von diesem GEIST, egal ob von (Erb)sünde, karmischen Prozessen oder simpler Ignoranz gesprochen wird. (vgl. Eros, Kosmos, Logos)
Alle Religionen verweisen auf einen Weg der Erlösung oder Erleuchtung- einen Weg    der Überwindung jener Entfremdung, der sich nie allein auf Ethik und Moral begrenzt. Der amerikanische Religionsphilosoph postuliert, dass durch eine möglichst große Vielfalt von denkerischen- und praktisch-empirischen Ansätzen, insbesondere der Introspektion, eine stimmigere Annäherung an die Eine Wirklichkeit gegeben sei. Wobei er natürlich nicht allein den quantitativen Aspekt sieht sondern mehr eine aus der qualitativen Vernetzung aller Ansätze entstehende Tiefe der inneren, sprich spirituellen Wahrnehmung! Natürlich ist die Wahrheit dauernd im Fluß: nur im erwachten Jetzt (im Verständnis eines mystischen Bewußtseins der Religionen) kann sie vollständig berührt werden.

An dieser Schnittstelle zwischen relativer und absoluter Horizontbewußtheit entstehen, religionspsychologisch gesehen, ständig neue Situationen/Kontexte, die im Laufe ihrer Gestaltwerdung die religiösen Erkenntnisse, Symbole und Vorstellungen der Zeit prägen. Wilber behauptet in seiner Evolutionslehre, dass wir heute in größerem Maße reif seien für eine ‚Schaulogik/Vision’, die uns aus der klassischen Psychologie wie aus der diskursiven oder dialektischen Ratio der Postmoderne in den Raum authentischer, d.h. mehrperspektivischer Spiritualität führt. Er glaubt, das wir damit erstmals fähig werden, die Gesamtheit einer spiralig vorgestellten Bewußtseinsevolution- von den archaischsten bis zu den sublimsten Ebenen - durch eine von persönlichen Interessen und Wünschen unverzerrte Klarsicht zu erkennen. Er nennt dies einen Quantensprung in die authentischen, zukünftigen Sphären integraler Bewußtheit.
Dies bedeutet ebenfalls, dass ein postmoderner A- oder Non-Theismus, also auch eine transpersonale Entwicklungs- Psychologie, und darauf läuft alles in der westlichen Welt hinaus- keineswegs den Abschied von der Wahrnehmung von Transzendenz bezeichnet. Im Gegenteil! Aber jedes Sprechen über Gott legt sich auf ein Bild fest und immer haben die Mystiker aller Religionen darauf hingewiesen, dass solche verbale Ikonographie letztendlich verhängnisvoll ist. Sie neigt dazu, Gottesbilder historisch wie metaphysisch zu zementieren. Eine nicht- theistische Sprache und  Anschauung bedeuten nicht automatisch die Leugung Gottes oder der Transzendenz sondern zielen auf die Notwendigkeit, in postmodernen Zeiten die geschichtliche, kosmische wie alltägliche Erfahrung des Numinosen (vgl. Rudolf Otto) in allen Kulturen gerade auch (speziell im Westen) in einer  nicht metaphysischen Sprache wiederzugeben.

Auch der Dalai Lama, Oberhaupt des tibetischen Buddhismus) betont- dass wir in gewisser Weise der klassisch religiösen Sprache entbehren können, gerade um die empfindungsmäßige Kluft (in säkularen Zeiten) zwischen Gott  und Mensch, bzw. Transzendenz und Immanenz als zwei dennnoch unbedingt aufeinander bezogene Ursymbole zu verringern, bzw. aufzulösen.
 In einem Leben, das Innen und Außen als ständige ineinandergreifende Korrelate erkennt, hat das Numinose ganz ungegenständliche Eigenschaften; in einer solchen natürlichen Verbindung gibt es nichts Ungöttliches; dies ist die entscheidende Einsicht der Mystik durch die Zeiten. Die große Herausforderung einer integralen Spiritualität im globalen Kontext hätte hier ihre Aufgabe: die Hinwirkung auf eine allmähliche Überwindung von konfessionell gebundenen Fundamentalismen.

Es zeigt sich, dass die Religionen in der Postmoderne häufig zu schwerfällig, zu
ängstlich geworden sind, um sich, angesichts der rasanten Veränderungen der materiellen wie geistigen Weltlage, gegenüber Agnostizismus und atheistischem Zeitgeist schöpferisch zu behaupten. Die Neigung zum Fundamentalismus- und ich zähle dazu nicht nur den religiösen sondern auch einen westlich- ökonomischen–bietet aber keine Antworten, geschweige denn Lösungen in einer Welt komplexester Beziehungen.
Die größte Gefahr muß dennoch gerade im Vergessen der religiösen Dimension gesehen werden! Ein auf  reine Wirtschaftlichkeit und Funktionalität getrimmter globaler Konsumkapitalismus, der gleichzeitig all die Menschen, Ethnien und Kulturen wie Umwelt entsorgt, die nicht mehr rentabel erscheinen, stellt sicherlich eines der größten Hemmnisse auf dem Weg zu einer globalen Kultur aktiver Toleranz dar.

Daher die Notwendigkeit, die Evolution des Bewusstseins als
einen integrativ-dialogischen Prozeß mit allen Chancen und Gefährdungen zu begreifen- beim Einzelnen  wie in der Gesellschaft. Daher auch ist die Forderung nach Einbindung des spirituellen Prozesses in die scheinbar profanen menschlichen Gegebenheiten wie Politik, Wirtschaft, soziale Fragen unerlässlich geworden. Wilber betont m.E. zurecht, dass die Spaltungen der Moderne zugunsten einer höheren Integrationsebene überwunden werden müssen, und das heißt, den homo öconomicus  nicht als letzte Stufe menschlicher Entwicklung zu begreifen. Diese Einschätzung hat paradigmatischen Charakter- der Westen muß ein säkulares Weltbild, dass Funktionalität und Rationalität als höchste geistige Errungenschaften betrachtet, transzendieren. Der Widerstand gegen diesen Schritt, besser Sprung, ist riesig- zumal in globalkapitalistischen/fundamentalistischen Zeiten.

 
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